Ein Tag in Castrop-Rauxel

Ortsteil Habinghorst, Lange Straße. Gegen 6 Uhr morgens werfen meine Zimmernachbarn ihre Duschen an. Das dadurch entstehende Geräusch ist erstaunlich kraftvoll. Weil ich noch schlafe, deutet meine Traumphantasie das Geräusch als Landung eines Großraumflugzeugs. Sofort bin ich wach. Ein Blick aus dem Fenster verrät die Wetterlage. Zwei Glas Wasser sind das Frühstück. Nun vertraue ich meinem Klapprechner die Ereignisse des Vortages an. Zwei Stunden später Besuch bei Jutta Kooke (Foto s.o.). Der netten Dame kaufe ich Ansichtskarten von Castrop-Rauxel ab sowie eine Heimatzeitung. Auf der anderen Straßenseite ist ein Günstigbäcker beim Penny-Markt angedockt. Hier erwerbe ich einen Becher Kaffee und ein Sesambrötchen und setze ich mich an den Tisch von Opa Müller. Wir kommen allerdings nicht nennenswert in Kontakt, vermutlich will sein Hörgerät das nicht. Ich frühstücke, lese die Zeitung und beschrifte die Ansichtskarten.

Nun flaniere ich durch die Lange Straße und kehre in einem umfangreichen Trödelladen ein. Sein Angebot spricht mich wenig an, nur bei einem Hundeteller verharre ich länger. Weiter die Straße hinauf komme ich mit Johann Leiber ins Gespräch. Er hat 10 Jahre unter Tage gearbeitet und war danach viele Jahre Lokführer auf dem Zechengelände der Schachtanlage Viktor 3/4. Ein schönes Gespräch, das ich ungern beende, aber nun lockt mich das Museum des Vereins für Heimat und Kultur. Der Vorsitzende Hans-Jürgen Dreyer schenkt mir eine Exklusivführung durch den reichhaltigen Fundes des Museums mit Schwerpunkt Bergbau. Höhepunkt: Er drückt mir einen pneumatischen Abbauhammer in die Hand. Erkenntnis nach einer Minute: Wer damit den ganzen Tag gearbeitet hat, braucht abends kein Fitnesstudio.

Jetzt fahre ich mit meinem Fahrrad quer durch die Stadt, wo ich eine hungrige Ziege näher kennenlerne. Schließlich erreiche ich den Waldfriedhof. Hier werden die Verstorbenen vor der Beisetzung in einem älteren Holzhaus aufgebahrt. Es erinnert mich an einen Geräteschuppen – sympathisch: kein Pomp, kein Gedöns. Mein erster Impuls: Die Aufbahrungsräume muss ich mir ansehen! Das ist meiner Kindheit geschuldet. Stets war ich als Kind dabei, wenn meine Mutter das Grab meiner Oma gepflegt hat. Nach der Grabpflege besuchte meine Mutter routinemäßig die Aufbahrungsräume. Sie wollte nachschauen, ob sie jemand von den Verstorbenen kennt. Ich freute mich immer auf diese Besuche und kannte schon im Kindergartenalter den eigentümlichen Leichenhallengeruch sehr gut. Heute gebe ich dem nostaligischen Impuls allerdings nicht nach, sondern wende mich der Friedhofsanlage zu. Gestern hatte mir Lokführer Dieter beim Bierchen berichtet, dass seine Oma immer dringend darum gebeten habe, nicht im unteren Teil dieses Friedhofs begesetzt zu werden. Ihre Sorge galt dabei dem Hochwasser der nahe vorbeifließenden Emscher. Und tatsächlich finde ich einen tieferliegenden Teil dieses einfachen, aber natur-idyllischen Friedhofs. Am Ende erörtere ich mit zwei netten Damen die aktuelle Wetterlage. Gemeinsamer Beschluss: Es könnte schlimmer sein.

Bei den Fahrten quer durch die Stadt benutze ich zur Orientierung oft mein Händi. Weil es schon recht alt ist, kackt die Batterie schnell ab. Daher suche ich nun einen Elektronikmarkt auf und beschaffe mir hier eine zusätzliche Batterie. Draußen am Fahrradständer spricht mich ein Mann an. Er hat den Emschermenschen vom WDR-Filmchen wiedererkannt. Nun plaudern wir kollegial über dies und das und seine eigenen Fahrraderlebnisse. Herzlich verabschieden wir uns. Jetzt keimt Abendhunger in mir auf. Also schaue ich mich um, wo es wohl lecker aussieht. Schließlich kehre ich im Olympic-Grill ein. Hier ist es allerdings den ganzen Abend so gemütlich, dass ich Ihnen davon wohl noch extra berichten sollte. Als ich spät abends mein Hotelchen aufsuche, bin ich sehr zufrieden mit der Tagesausbeute und freue mich auf den nächsten Tag.


2 thoughts on Ein Tag in Castrop-Rauxel

  1. Peter Siebeneichner

    Lieber Emschermensch,

    Glückwunsch zu Idee und Ausführung Ihrer Emscher-Reise! Bei Instagram folge ich Ihnen als der „emscherhirsch“, insofern sehen Sie schon gewisse Ähnlichkeiten bei unserem Objekt der Begierde 😉

    Ich bin ein mittfünfziger Hamburger, wohne in der Lüneburger Heide, bereise aber seit 10 Jahren das Ruhrgebiet und spüre mich ein wenig rein in die Vergangenheit und in Arbeitswelten und Lebensumstände, die ich so weder selbst erlebt habe noch so aus Hamburg kenne. Mich fasziniert die Emscher, durchaus auch mit ihrer Geschichte als Kloake, und ich werde nie mehr die Gerüche an warmen Sommertagen vergessen, die ich da in den letzten Jahren kennen gelernt habe! Ich fotografiere immer wieder entlang der Emscher und beobachte interessiert vor allem das Jahrhundertprojekt Emscherumbau, das größten Respekt verdient. Aber auch die Emscherkunst, die z.B. den Waste Water Fountain mitten rein gesetzt hat, ist einfach nur genial.

    Obwohl es nicht meine Heimat ist, fühle ich mich stark in die Gegend hingezogen – und aktuell freue ich mich auf einen einwöchigen Bildungsurlaub am Rhein-Herne-Kanal – immerhin in direkter Nachbarschaft 😉 Vielleicht sehe ich Sie „bei der Arbeit“, das würde mich freuen!

    Ich wünsche Ihnen auf Ihrer Reise ganz viele spannende Begegnungen und Eindrücke und freue mich auf die Berichte und Fotos in Ihrem Blog, dem ich neugierig folge.

    Herzliche Grüße vom
    emscherhirsch

    1. Lieber Emscherhirsch,

      ich habe mir Ihre Fotos auf Instagram angesehen: astrein! Sie haben die Seele der Emscher verstanden. Ob wir uns am Rhein-Herne-Kanal treffen, das knobeln wir per E-Mail aus. Ich bin zuversichtlich.

      Beste Grüße
      Norbert Schaldach

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