Zu Gast im Knast

Foto oben, v.l.n.r.: Stefan Seibert (Allgemeiner Vollzugsdienst), Beate Schmid-Große (Lehrerin) und Georg Dannöhl (Diplom-Sozialarbeiter)

Heute bin ich im Gefängnis, in einer Sozialtherapeutischen Anstalt, kurz: Sotha Gelsenkirchen. Hier werden Gewalt- und Sexualstraftäter nicht nur einfach weggesperrt, sondern behandelt. Auf diese Weise wird das Rückfallrisiko erheblich reduziert. Das Gefängnisgebäude gibt es schon seit 1902, entsprechend klein sind die Büros und Hafträume. Auch wenn inzwischen viele Räume gewachsen sind, indem Zwischenwände eingerissen wurden, so kann man in einigen Zellen mit ausgestreckten Armen rechts und links die Wände berühren. „Und sowas wurde mir als Loft verkauft“, kommentiert ein Inhaftierter mit passendem Humor. Auch nicht gerade üppig, aber dennoch mit angenehmer Atmosphäre ist der Unterrichtsraum von Beate Schmid-Große. Seit 30 Jahren unterrichtet die Lehrerin Männer aller Bildungskategorien, also Sonderschüler bis Akademiker. Allerdings nicht abschlussorientiert, sondern als Bestanteil des therapeutischen Programms.

Aktuell leben hier 56 Inhaftierte in drei Abteilungen. Alle haben eine schwere Straftat begangen und alle sind mit reichlich Haftdauer bestraft worden. Bei einigen ist sogar offen, wann sie wieder in Freiheit kommen. Georg Dannöhl arbeitet hier seit 26 Jahren als Sozialarbeiter. Früher, so berichtet er, waren die Inhaftierten der Sotha weitaus jünger und nur wenige von ihnen waren Sexualstraftäter. Beides hat sich inzwischen deutlich geändert. Dazu passt der Seufzer eines Inhaftierten mit umfangreicher Haftkarriere: „Sowas wie die Sotha hätte ich vor 20 Jahren gebraucht.“ Dann hätte er vielleicht keine weiteren Häuser angezündet. Georg Dannöhl weist daraufhin, dass es in der Sotha keine Hierarchie der Straftaten gibt. Also etwa so: Sexualstraftaten sind schlimm, Körperverletzungen sind mittel, Bankraub ist interessant. Mit solchen Haltungen drücken sich Täter vor ihrer Verantwortung. Doch hier geht es um die ehrliche, tiefgreifende Auseinandersetzung mit der eigenen Tat. Das ist immer ein harter Prozess, der viele Jahre dauert. Mit anderen Worten: Die Sotha ist kein Sprungbrett für eine flotte Entlassung.

Der Sotha-Tag beginnt um 6 Uhr. Eine Stunde später rücken die Männer zur Arbeit aus. Stefan Seibert vom Allgemeinen Vollzugsdienst (AVD) ist seit 2010 dabei. Sein Job hieß früher „Schließer“, aber dieses Wort passt heute gar nicht mehr. Zwar durchsucht er Hafträume nach verbotenen Gegenständen oder passt auch anderweitig auf, dass nix Regelwidriges passiert. Aber er ist auch gemeinsam mit Psychologen und Sozialarbeitern Teil der des therapeutischen Systems, wie in der Rückfallprophylaxegruppe. Sehr sinnvoll, denn der AVD ist im Haftalltag immer ganz nah am Haftgeschehen. Zur Rückfallprophylaxe zählt übrigens auch, dass immer eine Zelle leer steht. Entlassene Häftlinge, die draußen in eine gefährdende Krise geraten, können sie freiwillig nutzen. Ja, auch das kommt vor. Als ich mich nach drei Stunden verabschiede, danke ich den drei überaus netten Gastgebern sehr für ihre Informationen. Und bin heilfroh, dass sie und ihre Kollegen diese wichtige Arbeit mit so viel Sachkenntnis und Engagement betreiben. 2020 ziehen sie um, in einen Neubau in Bochum. Das haben sie verdient.

—> Sotha Gelsenkirchen, Munckelstraße 26, 45879 Gelsenkirchen


One thought on Zu Gast im Knast

  1. Sotha Gelsenkirchen ist ja eine beeindruckende Einrichtung – eine zivilsatorische Errungenschaft kann man ohne Übertreibung sagen. Hoffentlich setzen wir diese ermutigenden Entwicklungen fort. Ich habe Sorge, dass wir in dem Maße, in dem wir Menschen im Mittelmeer ersaufen lassen, unsere Prinzipien aushöhlen.

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